Sonntag, 20. Januar 2013

Fjodor Dostojewskij - Schuld und Sühne

Prostitution, bittere Armut, Alkoholismus, Krankheit, Gewalt. Hier, in den ärmlichen Gegenden von Sankt Petersburg, Mitte des 19. Jahrhunderts, liegt der verarmte ehemalige Student Rodion Raskolnikow in seinem sargengen Zimmer und sinnt nach. Entspinnt eine Theorie von höheren und niederen Menschen, verwirft jegliche Moral und plant rational und kaltblütig den Mord an einer alten Pfandleiherin, die für ihn nicht mehr ist, als eine Laus über die er hinübersteigt, um an ein höheres Ziel zu kommen.
Dieser Mord gelingt ihm, er kann unbemerkt verschwinden und jeden Verdacht von sich weisen. Dennoch - sein Plan ist gescheitert. Nichts bleibt von der Vernunft und der Rationalität. Raskolnikow verfällt in Wahnsinn und Fieberträume, konfrontiert mit der Tatsache, in seiner eigens geschaffenen Moralvorstellung zu versagen und über sich selbst so hart urteilen zu müssen, wie er es zuvor bei seinen Mitmenschen getan hat. Unfähig, sich seinem Umfeld zu stellen verstößt er wohlwollende Freunde und letztendlich sogar Mutter und Schwester, innerlich zerrissen und unfähig zu handeln. Erst die gläubige Prostituierte Sonja scheint zu ihm vordringen zu können.

Dostojewski ruft unbarmherzig eine Welt der Armut ins Leben, schont den Leser nicht, indem er ihm die schrecklichen Verhältnisse und Tatsachen nicht erspart, ohne zu beschönigen und so liegt beim Lesen stets eine schwermütige, trübselige Stimmung über der Szenerie.
Wir dürfen den Überlegungen Raskolnikows bis ins Detail folgen, uns mit ihm durch seine unklaren Fieberträume quälen, und seine widersprüchlichen, nebulösen Gedanken betrachten, bis wir durch diese tiefen Einsichten vielleicht sogar dem jähzornigen, unsympathischen Mörder mehr Zustimmung zuteil werden lassen, als wir es uns wünschen.

Ein Werk, das mehr als nur einen interessanten Denkanstoß geben kann und gewiss eine Bereicherung darstellt. Abgesehen davon ist Schuld und Sühne auch eine fesselnde Kriminalgeschichte, dessen einziger Makel für mich der stark moralisierende Schluss ist.

"›Wo habe ich‹, dachte Raskolnikow im Weitergehen, ›wo habe ich doch gelesen, wie ein zum Tode Verurteilter eine Stunde vor seinem Tode spricht oder denkt? Dass, wenn ihm die Möglichkeit gewährt würde, irgendwo hoch oben auf einem Felsen zu leben, auf einer so schmalen Platte, dass gerade nur die beiden Füße Raum zum Stehen fänden, und ringsumher wären Abgründe, Ozean, ewige Finsternis, ewige Einsamkeit und ewiger Sturm, und wenn er so, auf dem schmalen Platze stehend, sein ganzes Leben, tausend Jahre, eine Ewigkeit zubringen könnte: dass es ihm dann besser scheinen würde, so zu leben, als gleich zu sterben! Nur leben, leben, leben! Wie, ist gleichgültig; nur leben! … Und das ist wahr! 0 Gott, wie wahr! Der Mensch ist ein Schuft!… Und ein Schuft ist, wer ihn deswegen Schuft nennt!‹ fügte er einen Augenblick darauf hinzu."

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